Das Kalb das stirbt. Wenn du als Älpler nicht alles richtig gemacht hast.

Das Kalb das stirbt. Wenn du als Älpler nicht alles richtig gemacht hast.

Der Alpsommer 2018. Es ist Anfang Sommer und das Wetter treibt seinen Unfug mit allem was am Berg lebt. Am einen Tag Hitze am nächsten Tag Eiseskälte. Nach kürzester Zeit haben in jeder Herde unserer Alp einige Tiere Husten oder Schnupfen oder gar beides.

 

Wir rennen mit der Zeit und mit unserem besten Wissen und Gewissen von einer Herde zur nächsten. Verbringen bei jedem einzelnen Tier mehr Zeit als sonst. Zu mancher Herde schauen wir bis zu 3 Mal täglich.  Beobachten, notieren der auffälligen Tiere, die mit Schnupfen, die mit zu arg zerzaustem, zu Berge stehendem Fell. Eine Lungenentzündung bei einem der Tiere wäre gefährlich. Es ist wie ein Wettlauf der uns an unsere Grenzen bringt. Am einen Tag haben die einen Tiere Schnupfen, am nächsten ist es umgedreht und diejenigen die am Vortag noch fit zu sein schienen, waren es am nächsten wieder nicht. Schaute ich Vormittags und am selben Abend nochmals, war es oft genauso verhext.

So einen Sommer habe ich noch nie erlebt.

Vorallem nicht so einen Start in den Sommer. An manchen Tagen ist es ein schmaler Grat zwischen „nur ein Schnupfen“ und „es ist schon so schlimm dass wir den Bauer informieren sollten“. Die Verantwortung tragen wir, größtenteils. Wobei wir unser Bestes geben. Es macht jedoch auch keinen guten Älpler aus wegen jeder Kleinigkeit anzurufen. Denn würden wir wegen Kleinigkeiten anrufen und informieren, wäre irgendwann die Dringlichkeit und der Ernst, dass wirklich etwas Schlimmes ist langsam aber sicher verflogen.

Heute messen wir wieder einmal Fieber bei einigen auffälligen ausgewählten Kälbern die wir uns notiert hatten. Das machen wir gerade im 1-2 Tagestakt.

Mein Alpkollege Daniel spielt quasi Rodeo mit ihnen. Denn Lust auf Fiebermessen hat keines von ihnen. Wir pirschen uns beide an ein Kalb heran. Ohrenmarkennummer 6799 ist an der Reihe. Natürlich merkt sie es, dass wir auf sie aus sind. Ich treibe sie ein wenig in Daniels Richtung und im richtigen Moment packt er zu.

Das Kalb ist noch scheu und hat dazu noch Kraft ohne Ende.

Das Kalb ist noch scheu und hat dazu noch Kraft ohne Ende. So sitzt Daniel nach kurzer Zeit mit seinem Hinterteil auf dem Boden, die Hände fest an dem Kalb fixiert und kämpft eine Zeit lang zwischen Boden und Luft mit dem Kalb bis es endlich zur Ruhe kommt und nachgibt.

Ich muss nach kurzer Sorge, ob das auch gut ausgeht, da es wirklich spektakulär rodeomäßig aussieht lachen und sage zu Daniel: „zum Glück hatte es keine Disteln am Boden, das wäre unangenehm geworden für dich“ Er lacht ebenso. Jetzt muss es zügig gehen, damit wir das Kalb wieder loslassen können. Ich fasse also noch kurz an die Ohren des Tieres, ob sie kalt sind aber es fühlt sich normal an.

Mit dem Fieberthermometer messe ich anschließend über die Scheide die Temperatur. „Ja du Hübsche, alles ist gut, es ist nur zu deinem Besten“ sage ich um es zu beruhigen, als es sich nochmals zu wehren versucht, was vermutlich nichts bringt. Versteht mich ja nicht.  Ein paar Sekunden später bin ich fertig. Hier ist alles in Ordnung. Es ist nichts auffällig.

Es ist für mich ein wenig Stress zu wissen dass nicht mit allen Tieren alles in Ordnung ist.

Es ist für mich ein wenig Stress zu wissen dass nicht mit allen Tieren alles in Ordnung ist.Aber so ist es eben gerade. Und was sollen wir Älpler schon am Wetter ändern?

Wir gehen noch weitere Kälber durch. Manche bleiben ganz ruhig und zutraulich, manche nicht. Es dauert Stunden.

Zwei Kälber haben auffällig Schnupfen und ein wenig Fieber weswegen ich den Bauer der Tiere direkt am Abend anrufe, damit er sie sich selbst anschauen kann.

Er kommt direkt am nächsten Morgen und ich treffe mich mit ihm bei der Kälberweide. Meinen Hund lasse ich Zuhause da ihm sonst die Kälber hinterherrennen und Unruhe in die Herde bringen.Gerade laufe ich die Steigung hinauf und schaue ob der Bauer schon irgendwo da ist. Als ich sehe wie auffällig viele Kälber in einem Eck der Weide stehen, vermute ich dass er dort ist.

Oben angekommen trifft mich der Schlag.

Oben angekommen trifft mich der Schlag. Ein Kalb liegt am Boden. Röchelt vor sich hin. Der Bauer kniet neben ihm. Ich bin verwirrt. Es war keines der Kälber weswegen ich ihn angerufen hatte.

„war dieses Kalb denn nicht auffällig?“ fragt er mich. Ich ging ebenfalls auf die Knie und schüttele mit meinem Kopf in die Hände gestützt entsetzt meinen Kopf. Vorwürfe und Selbstzweifel mischen sich unter mein Gewissen. Haben wir nicht genau genug geschaut? Hätten wir noch öfters schauen müssen? Aber das wäre gar nicht gegangen.

Das Kalb zuckt immer wieder, versucht aufzustehen, bekommt fast keine Luft.

Das Kalb zuckt immer wieder, versucht aufzustehen, bekommt fast keine Luft. Den Tierarzt haben wir bereits angerufen. Aber es ist ein weiter Weg bis hier hoch und dauert noch.

„Das ist vorbei, das bringt nichts mehr, das schafft das Kalb nicht mehr“ sagt der Bauer immer wieder. Zum Glück nicht vorwurfsvoll mir gegenüber. Denn wir haben doch unser Bestes gegeben. Oder? Der Zweifel kommt immer wieder hoch.

So sterben sie. Mit einem letzten Lebenswillen.

Mir zieht es mein Herz zusammen als es wieder zuckt, jetzt heftiger, so als würde es doch nochmal aufstehen wollen. Ein kurzer Hoffnungsschimmer meinerseits. Doch dann, sackt es langsam aber sicher in sich zusammen, als würde die letzten Lebensgeister gerade aus ihm verschwinden. Nach und nach. Noch ein paar kleine Zucker. Dann ist es vorbei. So sterben sie. Mit einem letzten Lebenswillen.

Den Kopf nach oben gedreht, die Augen halb offen, nur noch das Weiß zu sehen, die Zunge leicht heraushängend, verstorben. So liegt es vor uns. Ein paar andere Kälber kommen und beschnuppern es bis sie wieder weiterfressen. Ich sitze wie versteinert da.

Den Kopf in meinen Händen hängend kullert mir eine Träne über die Wange.

Den Kopf in meinen Händen hängend kullert mir eine Träne über die Wange. Normal wäre mir das nicht passiert, aber die Müdigkeit die die letzten Alptage mit sich brachte, der innere Stress alles richtig zu machen, nichts zu übersehen und dennoch versagt zu haben kommen über mich.

Es tut mir Leid

„Es tut mir Leid“ sage ich sowohl zum Kalb als auch zum Bauern.

„Da kann man nichts machen, das passiert eben auch auf der Alp und gehört wohl dazu.“ sagt er zu mir und wir ziehen das tote Kalb gemeinsam über die Wiese aus dem Zaun um es nach unten zu transportieren.

Der Tierarzt hat noch Proben genommen, um herzauszubekommen an was das Kalb gestorben ist, jedoch war kein Ergebnis eindeutig.

Es ist zum Glück diesen Sommer kein weiteres Kalb verstorben.

Kurze Zeit später hat sich das Wetter wieder eingependelt und wir hatten mit keinem Schnupfen mehr zu kämpfen.Dafür dann den restlichen Sommer mit einer elendigen Trockenheit.

Das ist die „Alpromantik“ eines Alpsommers. Und diese Alpromantik ist jeden Sommer eine andere.