Mensch sein. Warum zieht es Hirten in die Berge?

Mensch sein. Warum zieht es Hirten in die Berge?

Das Leben dort droben mag für viele unverständlich sein. So mancher fragt „was macht ihr dort oben den ganzen Tag? Wird es einem dort nicht langweilig?“ Ganz einfach: Sein. Mensch sein. Verwurzelt, wenn wir es zulassen. In der Form wie es eigentlich für einen jeden von uns gedacht war. Was fehlt uns eigentlich hier unten was uns dort oben gegeben wird? Diese Frage stelle ich mir oft.

 

Eine genaue Antwort, die auf jeden passt gibt es wohl nicht. Aber stellen wir uns die Gesellschaft vor, die zur heutigen Zeit lebt, die sich mit Netflix, Konsum, viel ungeliebter Arbeit, um sich diesen Konsum leisten zu können und flüchtigen oberflächlichen Bekanntschaften bewusstlos tränkt. Sich bis ins ungesunde gegenseitig vergleicht, schneller höher weiter, während sie die meiste Zeit am Handy verbringt, so ist es wohl die Menschlichkeit, Mensch sein und Sinnhaftigkeit, die unten fehlt und oben mehr da ist.

Ein Tier kann geben, ohne zu nehmen. Können wir Menschen das auch?

Hirten leben nicht abgelenkt. Sie leben mit sich selbst und können es dort eben auch nicht anders. Müssen es. Denn was gibt es schon anderes als den Berg, du selbst, die Tiere und deine Aufgabe den Sommer über. Man könnte meinen, dass das ganz schön wenig ist. Und doch sind genau diese aufgezählten Dinge ziemlich viel, wenn wir sie genau betrachten. „Ein Tier kann geben, ohne zu nehmen. Können wir Menschen das auch?“

Ein Team, mit dem man Tag und Nacht zusammen ist, auch in schlechten Zeiten, das ist nicht immer schön. Ganz im Gegenteil. Zäh. Anstrengend. Aber zwangsweise können wir es auf der Alp eben auch nicht wegwerfen, davonrennen, oder gar austauschen so wie wir es unten immer mehr tun würden, weil alles ersetzbar ist. Wegschmeißen. Neu kaufen.

Reparieren anstatt (ver- /) wegwerfen, weil es an der nächsten Ecke eben keine Alternative gibt.

Wir brauchen einander dort oben. Im Geben und im Nehmen. Ohne den anderen geht’s nicht sonst wären wir aufgeschmissen bei der vielen Arbeit, die ansteht. Ob das immer funktioniert? Nein, nicht immer. Aber daraus ergibt sich Akzeptanz und Menschlichkeit von Herz zu Herz und etwas auf dem man gerne baut und bauen muss. Mal mehr und mal weniger. Und genau das nährt. Eben auch mal mehr mal weniger. Aber wir sind beisammen. In guten wie in schlechten Zeiten. Reparieren anstatt (ver- /) wegwerfen, weil es an der nächsten Ecke eben keine Alternative gibt. Reparaturen, sind wie kleine Erfolge des eigenen Selbst.

Denn wo ist die Party? Wo ist das tägliche Adrenalin?

Älpler werden eigentlich zu etwas gezwungen, begeben sich in ein Abenteuer, das vielleicht nach außen hin langweilig und unbedeutend klingen mag. Denn wo ist die Party? Wo ist das tägliche Adrenalin? Betrachten wir es aber genauer und bewusster, so ist es ein Abenteuer mit sich selbst das schon morgens, ob im tiefsten Nebel und Dunkel beim Kühe holen oder beim schönsten Sonnenaufgang rot lila orange und gelb Glückshormone verbreiten lässt. Wie das funktioniert? Raus aus der Komfortzone. Leben an der Baumgrenze mit Gewitter Blitz und Donner und Sonnenschein.  Wo du merkst, dass du am Leben bist. Gerade durch die vielen Grenzgänge in und mit der Natur. Durch Grenzgänge mit sich selbst und das sensibilisieren auf die kleinen schönen Dinge die uns diese Welt als Herzensnahrung gegeben hat. Ich glaube das fehlt uns unten immer mehr.

Dauerhaftes tiefes Glück kann kein Mensch auf dieser Erde, so reich er auch sein mag, mit Geld kaufen.

Es ist kein künstlich erzeugtes Glück, das gekauft wird. Und genau das ist meiner Meinung nach, der springende Punkt.  Dauerhaftes tiefes Glück kann kein Mensch auf dieser Erde, so reich er auch sein mag, mit Geld kaufen.

Angetrieben durch eine Aufgabe arbeiten Hirten und Älpler meist bis zu 14 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 100 Tage am Stück. Ununterbrochen  und tragen dabei eine wahnsinnige Verantwortung. Für viele Tiere, die Landschaft, das Team in dem sie arbeiten, aber auch Verantwortung für sich selbst.

Ob das langweilig ist? Das ist Ansichtssache. Aber meiner Meinung nach ganz und gar nicht. Wer diese Erfahrung einmal machen konnte, möchte diese wohl kaum missen.

Denn wenn ich in Einfachheit leben darf und in diesem Fall auf der Alp sogar muss, komme ich dem eigentlichen Leben schon ziemlich nahe.

Was sind schon die anscheinend großen Dinge gegen die kleinen Unscheinbaren? Richtig. Nichts. Denn wenn ich in Einfachheit leben darf und in diesem Fall auf der Alp sogar muss, komme ich dem eigentlichen Leben schon ziemlich nahe. Und dann gibt es dort versteckte Momente, von denen du nicht geahnt hättest, dass sie dich so mit Freude füllen.

Das ist dann das Leben zwischen oben und unten wo du den wunderbaren Sternenhimmel frühmorgens siehst. Das ist die Gemeinsamkeit im Team du so hart erarbeitet und gepflegt wurde. Das ist die geschaffte Arbeit am Abend die dich an deine Grenzen kommen ließ aber du nicht aufgegeben hast, nach der du geschafft und zufrieden ins Bett fällst. Ja wirklich wahrhaftig fällst weil der Tag so Kräfteraubend war. Das ist dann dieser Ort, an dem du so sein kannst und musst wie du eben bist. Wobei gerade das eine wahnsinnige Erholung für den Menschen ist – Freiheit und Annehmen.

Wo du dir nicht vorstellen kannst, dass Spotify oder sonst eine MusikApp gerade einen besseren Sound herbringen könnte als genau diesen Klang der weidenden Herde.

Das sind die Momente wo du am Gipfel stehst, der Wind dir dein Haar verwirbelt, dein Hirtenstock perfekt in deiner Hand liegt, unter dir die Kühe weiden, die Glocken klingen und du dir nicht vorstellen kannst, dass Spotify oder sonst eine MusikApp gerade einen besseren Sound herbringen könnte als genau diesen Klang der weidenden Herde.

Es sind nicht nur schöne Momente dort oben, das ist klar. Denn Alpromantik ist es definitiv nicht. Es gibt Tage, gar Wochen wo du dich ernsthaft fragst, warum du das hier gerade machst, warum du dir dies antust. Aber vielleicht ist gerade das der Punkt, dass man dadurch einen besseren Blick auf das große Ganze bekommt, es betrachten kann und sein Bewusstsein dafür stärkt.

Wer weiß?