Alptagebuch – Der Beginn des Alpsommers. Auf was habe ich mich da nur eingelassen?

Alptagebuch – Der Beginn des Alpsommers. Auf was habe ich mich da nur eingelassen?

Der Sommer beginnt… Auf was habe ich mich da nur eingelassen?

126 Milchkühe. 12 Hühner. 89 Kälber. 62 Rinder. 96 Mesen. 2 Hunde. 3 Älpler.

Voller Euphorie starte ich in den Alpsommer. Die Berge sind steil, meine Ansprüche auch. Und was soll schon schiefgehen, es klingt einfach alles perfekt. Zu perfekt. Und schon bald wurde ich eines Besseren belehrt… Ein Teil meines Alpsommers von zwei Seiten betrachtet.

 

29. Mai – die Mesen kommen. Wir kennen uns noch nicht sehr gut aus weswegen wir alle Wege gefühlt doppelt laufen. Die Mesen verhalten sich jung, sind sie schließlich auch. Von nichts abzuhalten. Auch nicht von einem Zaun wie sich nach kürzester Zeit herausstellt. Sie sind noch ganz unten. Auf der Dorfweide. Zu ihnen hin zu laufen gestaltet sich noch recht einfach. Es geht ja bergab. Nur das zurückkommen ist eine andere Sache. Ich brauch anfangs Sommer ungefähr etwas mehr wie eine Halbe Stunde. Bergauf. Zu sehr Bergauf für meine Kondition.

1 Tag später. Es gibt keine Eier zum Frühstück. Die Hühner legen nicht.

5 Tage später: Der Kindergarten ist ebenfalls eingetroffen. 89 Kälber. Auf einem Haufen. Nach 2 Stunden sind die ersten durch den Zaun. Sie haben noch keinen richtigen ruhigen Herdentrieb und laufen deswegen mehr oder weniger kreuz und quer durcheinander. Ach und Zäune? Was sind denn schon Zäune? Sie einzufangen kostet Nerven. So einigen von uns den letzten Nerv.

6 Tage später: Mein Hund jagt ständig Murmeltiere. Das darf er eigentlich nicht. Und er hört nicht auf mich.

7 Tage später: Die Milchkühe kommen. Euphorie. Aufregung. 126 Milchkühe? Irgendwie dachte ich das sind weniger. Sie rennen wild vor dem Stall herum. Die Rangordnung wird auch noch ausgekämpft. Jede muss auf ihren eigenen Platz. Sortieren müssen wir sie. Das reinste Chaos. Mein Alpkollege schlägt sich vor Nervosität den Kopf an der Milchleitung im Stall an. Eine dicke Fette Beule tritt hervor.

Tag 8: der Wecker klingelt – Viertel nach zwei. Nachts.

Tag 11 auf 12: 00.15 Uhr. Ich höre in meinen Träumen Glockengebimmel. Ich wache auf. Das Glockengebimmel ist immernoch da und ziemlich nah an unserer Hütte. Zu nah. Verdammt, die Milchkühe sind aus ihrer Nachtweide ausgebrochen und überall verteilt. Nacht und Nebel aktion wird gestartet.

12 Tage später: Die Rinder kommen. Noch sind sie ruhig und friedlich. Im Moment mag ich sie am liebsten.

2 Wochen später: die Hühner legen immer noch keine Eier. Liegt das an der Höhenluft?

18 Tage später: Heute mein drittes Brot gebacken das misslungen ist, dieses Mal das Salz vergessen, beim letzten mal das Brot im Ofen vergessen – Kohlenstoff – Schwarz. Es gibt also wieder Haferflocken zum Frühstück.

20 Tage später: Wecker klingelt jetzt „erst“ um viertel vor drei. Schlafmangel.  Hinzu kommt meine Schulter schmerzt vom herum Tragen der schweren Melkzeuge.

Tag 21: heute war ein kurzer Mittagsschlaf geplant. Aber die Kühe sind abgehauen und durch den Zaun. Mittagsschlaf somit hinfällig.

Tag 23: Ich will die Kühe raus treiben. Mein Hund kann plötzlich nicht mehr bellen und versteckt sich hinter mir. Er setzt sich einfach hin und schaut mich an. Dem Hundeblick macht er damit alle Ehre. Und ich? Ja ich bin ziemlich übermüdet und muss jetzt ungefähr 120 Kühen hinterherspringen und sie in die richtige Richtung lenken. Natürlich merken sie, dass plötzlich kein Hund mehr mit dabei ist, weswegen so manche noch mehr in jede Richtung springt.

Tag 24: Eine Kuh hat verworfen und ihr Kalb verloren. Ich weiß, wir können nichts dafür. Ich bin trotzdem traurig.

Tag 26: wir müssen die Mesen zügeln, die Bauern helfen mit. 4 Stunden, 28 Kilometer, und zwei schwache Beine später würde ich am liebsten schlafend in mein Bett fallen, aber wir müssen wieder Kühe holen und melken.

4 Wochen später: noch immer keine Eier im Nest.

Tag 31: Regen, Nebel, Regen, Nebel. Die Nachbaralp hat angerufen. Ein paar Mesen sind durch den Zaun.  Eine Stunde Fußmarsch. 2 Stunden Tiere einfangen. Durchgefroren und Tropfnass zurück zur Hütte gelaufen.

Tag 32: die ersten Proben der Milchkontrolle sind zurück. Es sind nicht alle gut. Ich frage mich was wir falsch machen und vorallem was wir besser machen können? Wir arbeiten doch schon sehr genau und sauber.

5 Wochen später: Was genau mache ich eigentlich hier????? (Zitat aus meinem Alptagebuch)

 

Würde ich nur diese Dinge sehen, hätte ich es vermutlich nicht eine einzige Woche auf der Alp ausgehalten.

Aber dann kommen da noch die anderen Momente, die alles wieder aufwiegen. Jedoch nur wenn man diese auch sieht:

 

Tag 1: Blumenwiese, bunt. Ich liebe sie!

Tag 6: Vogelgezwitscher + Glockengebimmel = mein neuer Lieblingssound

Tag 10: habe eine Lieblingskuh: Zitta, ein absoluter Dickkopf.

Tag 11: heute einen wunderschönen Sonnenaufgang bewundern und miterleben dürfen.

Tag 13: im Bett liegen, eingekuschelt in meine Bettdecke, der Regen prasselt auf das Dach, es gewittert. Unbeschreiblich. Sicherheit, Freiheit, geborgen fühlen, Abenteuer. Alles in einem.

Tag 15: Ruhe. Ich konnte heute die Ruhe „hören“. Das Nichts, und doch war es so viel. Ruhe ist verdammt wertvoll. Aber nur die wahre Ruhe.

Tag 16: Mein Hund hat heute zum ersten mal richtig gefolgt. Es wird von Tag zu Tag besser. Erfolge. Er wächst mir immer mehr ans Herz.

Tag 17: Regenbogen, zwei Stück, übereinander, sowas hab ich noch nie gesehen.

Tag 18: Nach dem Stall die Herde Kühe raustreiben. Die Herde zieht. Ich leite sie mit meinem Hund indem ich hinterherlaufe. Vertrauenssache, irgendwie. Im Einklang. Dieser Klang der Herde, die vielen Glocken, was für eine Musik in meinen Ohren. Wir ziehen zu saftigen Wiesen. Es ist schön. Heute herrscht Frieden. Bergfrieden.

Tag 21: Die Frau von unserem Alpmeister hat uns den besten Schokoladenkuchen auf die Alp gebracht den ich je gegessen habe.

Tag 22: Wir setzen uns Abends nach dem Melken zu den Kühen auf die Nachtweide.  Die Kühe sind zufrieden, unsere Arbeit ist ebenfalls getan. Es ist halb 9. Wir haben für heute Feierabend. Zufriedenheit, kein anderes Wort passt gerade besser.

Tag 26: Ich bin stolz dass ich das Mesenzügeln überlebt und geschafft habe. (Zitat aus meinem Alptagebuch: Krasser kranker anstrengender Scheiß, noch nie so viel auf und ab gelaufen- verdammt stolz!)

Tag 27: wir legen aus Spaß andere Hühnereier bei unseren Hühnern ins Nest und besorgen einen Hahn. Vielleicht leiden sie an Männermangel und legen deswegen keine Eier? Wir taufen den Hahn Armor–> hat nicht funktioniert aber wir hatten viel Spaß dabei.

Tag 32: nach einer Woche Regen und Nebel, blauer Himmel und Sonnenschein.

Tag 33: der absolut perfekte Sternenhimmel morgens, ganz früh beim Kühe holen. Ich bin den Sternen so viel näher als sonst.

Tag 45: Ein Huhn hat ein Ei gelegt! wir halten es in Ehren. Unser erstes Ei auf der Alp!

Tag 47: Ich bin müde. Ich bin kraftlos. Ich bin glücklich. Das Leben in den Bergen ist schön! (Zitat aus meinem Alptagebuch)