Als wir nur noch zu zweit auf der Alp standen, anstatt zu dritt.

Als wir nur noch zu zweit auf der Alp standen, anstatt zu dritt.

Einer der ersten Alpsommer. Wir starten zu dritt. 102 Milchkühe haben wir auf der Alp. Das Gebiet ist groß. Sehr groß. Wir Melken mit Standeimern. Gute 25 Liter Milch passen in so einen Eimer hinein. Unter tags müssen wir oft Hüten und beim Vieh sein. Wir Melken, dann müssen wir die vollen Eimer zur Milchpumpe schleppen, die Milch dort auslehren damit sie zum Milchtank gelangt. Es ist ein Knochenjob, auf den wir uns eingelassen haben, aber wir wollten es nicht anders. Oder aber es war uns nicht bewusst? Über Nacht sind wir nur noch zu weit auf der Alp. Unser dritter Älpler ist weg. Konnte nicht mehr so wie er sagte. Schafft die Arbeit nicht mehr so wie er sagte. Wir gehen an unsere Grenzen. 5 Wochen lang rackern wir zu zweit durch und gehen an unsere Grenzen.

 

…zuvor….

Es ist 5 Tage bevor der Alpsommer beginnt. Wir sehen uns alle zum ersten Mal und sind schon die Tage vorher auf der Alp zur Vorbereitung der Zäune und um uns ein bisschen einzuleben.

Zu zweit stehen wir vor der Hütte als die dritte Person mit Auto und lauter Musik und mit noch lauterem Bass angefahren kommt. Er heißt Tom (Name erfunden) fährt mit seinem fast tiefergelegten Golf um die Kurve, parkt, steigt aus. Den Moment werde ich wohl nie vergessen. Er trägt Lederhosen, wobei einer der Träger über die rechte Schulter nach unten hängt, dazu Chucks und auf seinem Kopf einen Strohhut von irgendeinem alkoholischen Erzeugnis. Der Bass tönt immer noch aus seinem Auto. Bis er um sein Auto herumläuft, den Kofferraum öffnet und erst mal 3 Bier aus einem Kasten herauszieht bin ich sprachlos. „Servus, trinken wir erst mal aufn guten Sommer. Super Aussicht hier“. Er reicht jedem ein Bier, öffnet seines als erstes, trinkt und schaut genussvoll in die Runde.

„Danke für das Bier. Ja es ist eine richtig schöne Aussicht hier“ stimme ich zu und denke mir, na das kann ja lustig werden.

„Ich habe einen saumäßigen Hunger. Jetzt grillen wir erst mal.“ kommt als nächstes von ihm.

Gegen Essen habe ich sowieso grundsätzlich nichts, auch wenn wir erst einmal etwas Arbeiten sollten bevor wir an das Essen denken, aber dieses Mal stimme ich zu.

Was für eine Begrüßung.

Halb 4. Der Wecker klingelt. wir sind bei Tag 13 unseres Alpsommers. Mein Alpkollege und ich stehen auf, setzen uns noch 5 Minuten in die Küche, um Kaffee zu trinken. Tom schläft noch. Ich gehe nochmals an seine Türe, klopfe, und sage ihm, dass wir losmüssen, Kühe holen und melken, er muss aufstehen.

„Ich komme ja gleich“ raunt es pampig aus seinem Zimmer. Wir beschließen schon mal allein loszuziehen und anzufangen. Denn spätestens um 7 muss die Milch unten in der Käserei sein.

Eine Stunde später trottet er langsam in den Stall mit den Worten „sorry, verschlafen“. Wir haben bereits angefangen zu Melken. „Passiert“ sage ich gutmütig und melke weiter.

Die nächsten Tage laufen genau gleich ab. Wir holen die Kühe, stallen ein, er kommt eine gute Stunde später.

Wir sitzen beim Frühstück und teilen die anfallenden Arbeiten untereinander auf. Ich sage zu Tom, dass er einen Zaun stecken muss, damit wir am nächsten Tag die Kühe dort hineintreiben können. Es soll schlecht Wetter werden, weswegen wir nicht hochhinaus zum Hüten gehen können. Ausführlich erkläre ich ihm wo genau und weise ihn zu guter Letzt noch darauf hin, dass es wichtig ist am Ende des bereits stehenden Zauns den Handgriff zu schließen, da die Kühe sonst wirklich überall hinkönnen. Er nickt genervt, zieht dann aber los, um seine Arbeit zu machen.

Nächster Morgen. Wir haben fertig gemolken, und treiben die Kühe auf die Weide wo gestern der Zaun gemacht wurde. die Müdigkeit zehrt langsam an jedem von uns und es freuen sich alle auf einen wohlverdienten Mittagsschlaf.

Tom fährt mit dem Muli die Milch in die Käserei. Er ist heute wieder zu spät aufgestanden da er gestern Abend betrunken war und müsste sich wohl besonders auf eine Mütze Schlaf freuen. Ich schmunzle ein wenig und habe fast Mitleid, obwohl er es sich den Kater selbst zuzuschreiben hat.

Kurze Zeit später, liegt jeder in seinem Bett, das Frühstück haben wir heute ausgelassen, das gibt es danach, haben wir einstimmig beschlossen.

Ich bin gerade am Einschlafen. Verschwinde langsam aber sicher in das Land der Träume als ich das Telefon im Hintergrund klingeln höre. Ich schrecke auf. Wer will denn genau jetzt, wenn wir einmal schlafen wollen etwas von uns? Ärgere ich mich kurz und gehe mit derselben Stimmung an das Alptelefon.

„Ja“ Sage ich unfreundlicher als gewollt in den Hörer.

„Die Hälfte eurer Kühe laufen gerade in Richtung Dorf. Und ein paar sind schon unten“ kommt es weitaus unfreundlicher als von mir durch den Hörer gebrüllt zurück.

Verdammt. 

Von der einen auf die nächste Sekunde bin ich hellwach. Die Alarmglocken läuten. Wie konnte das passieren? Sofort springe ich auf, wecke die anderen. “ Wir müssen sofort los, die Kühe laufen gerade ins Dorf. Wir fahren mit zwei Autos, falls etwas ist.“ Rufe ich am Vorbeigehen den anderen zu.

Zu zweit fahren wir schon mal los. Tom war noch nicht ganz fertig. Er kommt nach.

Zwischen Boschen und steilen Hängen die kurz vor dem Dorf sind fangen wir die Kühe ein. Treiben sie zurück in die Wiese wo sie eigentlich hätten sein sollen. Meine Oberschenkel brennen von der Herumrennerei. Hoch runter. Rechts. Links. Zwischendrin regnet es in Strömen. Ich trage Gummistiefel, aus denen ich immer wieder das Wasser auslehren muss. Und von Tom? Keine einzige Spur bis jetzt. Aber ich habe gerade keine Zeit mir darüber einen Kopf zu machen, auch wenn wir die Hilfe gerade sehr gut gebrauchen könnten.

Zu guter Letzt holen wir die letzten drei ausgebüchsten Kühe. Ganz unten im Dorf. Eine Stunde laufen wir mit ihnen zurück nach oben zu unserer Alp. Die Wolken verziehen sich während dem Hochlaufen langsam und werden von sanften Sonnenstrahlen abgelöst, die sich immer mehr hindurchkämpfen. Das tut gerade gut da wir beide wirklich komplett durchgenässt sind.

Fünf Stunden lang sind wir jetzt einer Herde Kühe die in Dorf, Gärten und Hängen verteilt waren hinterhergerannt. Wir sind wahrlich fix und fertig.

Wir treiben die restlichen Kühe in die Weide und gehen noch den Zaun ab, um zu schauen wo sie überhaupt ausgebüchst sind.

Und dann merke ich es. Weder der Handgriff wurde zugemacht, noch der Zaun als kleine Abtrennung (was nicht mal schlimm wäre) hat Tom gestern wie abgemacht gesteckt.

Mit hochrotem Kopf und völlig aufgebracht stapfe ich zurück zur Alphütte. Der kann was erleben. Den ganzen Sommer am Ausschlafen und dann nicht mal einen Zaun stecken!

An der Hütte angekommen sehe ich wie er gerade den Tisch deckt und uns zuruft „Hey da seid ihr ja endlich, wollt ihr auch Frühstück? Wobei das mittlerweile Mittagessen ist“. Er trägt auch noch seinen Strohhut, was meinen Kopf vermutlich auf dunkelrot leuchten lässt.

Ich versuche ruhig zu bleiben und nicht komplett aus der Haut zu fahren. „weißt du eigentlich was wir gerade gemacht haben? Und weist du weswegen wir das alles gemacht haben? Richtig! Weil du gestern etwas NICHT gemacht hast, nämlich den Handgriff zu!“ Am Ende werde ich deutlich lauter.

Er: „Ja sorry, jeder vergisst mal was!“

Ich: „Ja, ist in Ordnung, es sei dir verziehen. Und wo warst du dann bitte jetzt den ganzen Vormittag zum Kühe einfangen?“ kommt es mir vorwurfsvoll über die Lippen.

Er: „Ich war einfach müde?! Es ist vielleicht ganz schön anstrengend hier oben!“

Ich: „Wir machen hier oben alle den gleichen Job verdammt! Und ich bin dazu noch eine Frau du Jammerlappen.“

Ich muss mich wahrhaftig zusammenreißen. Die Müdigkeit, der Anpfiff des Alpmeisters wegen den Kühen im Dorf lassen in mir gerade keine Ruhe und Gelassenheit zu.

So beschließe ich, dass es wohl gerade besser ist zu gehen und nichts mehr von mir zu geben. „wir reden später. Und du holst heute bitte die Kühe“ sage ich am Vorbeigehen mit ruhigem kaltem Ton und knalle die Türe hinter mir zu.

Als wir am Abend in Ruhe über alles reden, stellt sich heraus, dass es ihm zu viel ist, aber vor allem, dass er sich das Ganze einfach anders vorgestellt hat und er gerne gehen möchte.

Wir bitte ihn noch ein paar Tage zu bleiben, bis wir Ersatz gefunden haben. Er stimmt zu.

Am nächsten Morgen ist er verschwunden.