Ein beschissener Alptag Teil 1

Ein beschissener Alptag Teil 1

Eine Geschichte über ein paar wenige erlebte Geschehnisse im letzten Alpsommer zusammengefasst zu einem einzigen Alptag, der beschissener nicht laufen könnte. 🙂

Der Wecker klingelt. Halb vier. Es hat die ganze Nacht so stark gewittert, dass ich kaum schlafen konnte. Todmüde trotte ich ins Bad und putze schnell meine Zähne. Ein kurzer Blick nach draußen, es Regnet immer noch in Strömen. Ich gehe in die Küche und möchte mir noch einen Tee machen bevor es los geht. Er soll mich ein bisschen von innen wärmen. Ich schalte den Wasserkocher ein (ja wir haben Strom auf dieser Alp), gerade hänge ich den Teebeutel in meine Tasse, ist es plötzlich stockdunkel. Stromausfall. Wenn doch wenigstens das Wasser schon heiß wäre. Pech gehabt. Ich beschließe dass es heute morgen keinen Tee für mich gibt – halb so schlimm.

Schnell ziehe ich meine Stallsachen und Gummistiefel an. Darüber lege ich noch meinen Regenmantel, Regenhut und zu guter letzt – meine Stirnlampe damit ich die Kühe auch sehe und finde. Gerade gehe ich nach draußen, will meine Stirnlampe anmachen. Nur ganz kurz leuchtet sie auf- Zack, Akku leer, Stirnlampe aus – Dunkel. Das ist ja wunderbar, da hat wohl jemand mitgedacht und das nachladen vergessen. Dieser jemand war dann wohl ich.

Ich gehe wieder in die Hütte und schnappe mir die Lampe von meinem Alpkollegen. Anlauf nummer zwei funktioniert. Es regnet und regnet, schon nach kurzer Zeit hat mein Hut die Funktion einer Regenrinne. Seitlich läuft das Wasser nur so herunter.

Ich laufe in die Nachtweide, ein paar Kühe stehen bereits am Zauneingang und warten, aber es sind noch lange nicht alle. Geduckte Köpfe, hängende Ohren. Sie scheinen wohl auch keine Lust haben im Regen zu stehen. Schnell öffne ich den Handgriff und sie laufen in Richtung Stall. Ich muss die Weide trotzdem ablaufen, denn es fehlen noch ungefähr 80 Kühe. Uuuuund los. Ich laufe weiter und es schüttet immer noch aus Kübeln. Ein leichter Donner ist zu hören und ich sehe nur noch das Hinterteil meines Hundes das geduckt und mit eingezogenem Schwanz zur Hütte zurück rennt. Sogar er hat keine Lust auf das Wetter – und ich? Ich stehe halt jetzt alleine da. Ohne Hund brauche ich auf jeden Fall fast doppelt so lang.

Bis im letzten Eck liegen sie, gemütlich, widerkäuend. Es hat ein bisschen aufgehört zu Regnen. Ich stehe gerade ganz hinten oben in der großen Nachtweide als ich plötzlich nichts mehr sehe. Nebel. Nebel. Nebel. In Kürze hat es zugezogen. Ich sehe wirklich nichts mehr, sehe kaum noch meine ausgestreckte Hand vor meinen Augen. Jetzt muss ich nach Gefühl laufen und die restlichen Kühe zusammentrommeln –  müde und leicht angefressen denke ich mir zum Glück kam noch niemand auf die Idee, geschweige denn hat es komplett durchgebracht Kuhglocken abzuschaffen – ich hätte keine Chance und könnte die Kühe so nicht finden.

Das Bimmeln leitet mich ein wenig. Am Stall angekommen wird eingestallt. Jede Kuh hat ihren Platz, doch heute läuft ungefähr jede Kuh überall hin, nur nicht an ihren Platz. Also heißt es Kühe schieben und sortieren.

Gerade will ich Nina anbinden, die so freundlich war und auf ihren Platz gelaufen ist, da hat sie keine Lust mehr und läuft einfach weg. Ich kann sie weder halten noch anbinden. Ich versuche sie also wieder an ihren Platz zu treiben. Sie muss auf Platz Nummer 14. Die Lücke wäre eigentlich perfekt für sie zum rein laufen, aaaaber es braucht drei Anläufe. Erst stellt sie sich auf Platz 18. Ich treibe sie da wieder raus, versuche sie in die richtige Richtung zu lenken, anschließend hüpft sie auf platz 12 – die Lücke ist so Eng, bzw. zwängt sie sich zwischen zwei Kühe hinein sodass nicht mal meine Hand zwischenreinpassen könnte. Sieht zwar kuschelig aus so ein Kuhsandwich, zum Melken ist das aber reichlich unpraktisch – oder auch einfach nicht möglich. Ich treibe sie wieder aus der Lücke hinaus. Dann habe ich sie gerade kurz vor ihrem Platz, sie muss also nur noch zwei Schritte machen –  Stillstand. Absoluter Stillstand. Weder nach rechts, nach links, nach vorne, noch nach hinten. Nina hat gerade beschlossen dass sie ihr Laufpensum für heute erreicht hat und möchte jetzt stehen bleiben.

Das Thema Selbstliebe und „Sei gut zu dir selbst“ scheint auch bei Kühen gefragt zu sein.

Ich versuche sie mit Händen und Füßen in die Lücke und somit auf ihren Platz zu  bekommen. Ihre Hinterfüße mitsamt ihrem Hinterteil hingen schon leicht in der Höhe von meiner Schieberei, doch ihre Vorderfüße hielten recht gut dagegen. Ein Bild für Götter, ich nahezu schweißgebadet, weil es so anstrengend war, hochroter Kopf – Sie, also die Kuh, widerkäuend, mit leicht hängenden Ohren und halb geschlossenen Augen. Man hätte meinen können sie schläft jeden Moment ein.

Ich ziehe nochmal von vorne an ihrem Lederriemen. Wiederstand. Dann macht sie eine kleine Bewegung. Die ging leider in die falsche Richtung. Direkt auf meinen Fuß. Nicht auf die Stahlkappe von meinen Gummistiefeln die mich vor sowas schützen soll, nein, direkt dahinter damit es so richtig weh tut. Ich schreie kurz auf und schimpfe sie, was sie allerdings reichlich wenig interessiert, aber himmerhin lässt sich ihr Fuß von meinem Fuß mit viel Gewalt wieder herunterbekommen.

Ich hatte letztendlich genug und dachte mir, lass ich dich eben hier stehen und binde erst alle anderen Kühe fest. Dann lauf ich gerade weg – Madame macht mit einer Seelenruhe zwei Schritte nach vorn und stellt sich auf ihren Platz. Will die mich eigentlich verarschen?

Alle Kühe angebunden, merken wir dass drei Plätze leer stehen –  es fehlen drei Kühe. Bei dem Nebel passiert es leicht dass man welche übersieht bzw. gar nicht sieht. Die einen vom Alpteam fangen schon an zu melken, ich ziehe nochmals los und suche die drei vergessenen. Und wie sollte es auch anders sein, draußen: immer noch dicker Nebel. Aber ich finde sie.

Der Tag kann heute nur besser werden.

Wir beginnen zu Melken. Es dauert nur Zehn Minuten und die erste Kuh hat keine Lust mehr auf melken und schlägt ihr Melkzeug auf den Boden. Das war natürlich noch nicht genug, denn es fällt direkt in einen Scheißhaufen. Heute scheint ein wahrer Scheißtag zu sein. Eindeutig.

Endlich fertig mit Melken gehe ich in die Milchkammer um die Melkzeuge zu putzen. Ich will gerade das heiße Wasser einlassen, nach gefühlten zehn Minuten kommt immer noch kaltes Wasser aus dem Wasserhahn. Ja darf das denn wahr sein?

Ich schaue kurz auf den Beuler – herzlichen Glückwunsch, ich habe gestern Abend vergessen auf „heizen“ zu schalten. Kurzerhand beschließe ich die Kühe auf die Wiesen zu treiben, den Stall sauber zu machen und dann erst das Melkzeug zu waschen. Wenn denn bis dahin der Beuler aufgeheizt hat.

Die Kühe hinausgetrieben, fertig mit Stall saubermachen, die Melkzeuge sind ebenfalls sauber. Gerade wollen wir uns ans Frühstück setzen, klingelt das Alphandy – die Rinder sind abgehauen und ganz ganz oben auf dem Berg. Wir rennen los, es ist aber so weit, sodass wir eine halbe Stunde brauchen bis wir dort oben sind. Wir schaffen es schnell sie wieder einzufangen und laufen nach circa 2 Stunden wieder nach unten an unser wohl verdientes Frühstück. Ich mache uns noch ein paar Pfannkuchen, wovon mindestens 5 einseitig und zwei beidseitig schwarz geworden sind da ich sie anbrennen lassen habe. Es scheint ein guuuuuter Tag zu sein.

Heute steht Kälber zügeln, Mesenkontrolle und Rinderkontrolle an. Wir teilen uns vorerst auf, jeder übernimmt einen Part. Kurze Zeit später, als die Kälber in eine andere Weide getrieben worden sind merkt meine Alpkollegin dass es ungefähr 32 Kälber zu wenig sind. Wir gehen also auf die Suche und finden sie zum Glück versteckt in ein paar Boschen in der alten Weide. Gerade als wir die Kälber beisammen hatten sehen wir wie am anderen Ende der Weide (die Weide ist ziemlich groß) die anderen Kälber durch den Zaun rennen, trotz Strom. Der Kindergarten lässt grüßen, sie wieder einzufangen war ein richtiger Kraftakt. Aber wir schaffen es – mit viel viel viel Geduld.

Anschließend geht es auf zu den Mesen ( den 1,5 – 2 Jährigen), wir laufen gerade am Grat entlang, als ich spaßeshalber sage: „schauen wir doch ob unsere Kälber noch IM Zaun sind oder schon wieder ausgebüchst sind“. Leider wurde aus Spaß ernst, sie waren schon wieder draußen. Da wir aber schon ziemlich weit weg und in der Höhe waren, beschlossen wir erst die andere Arbeit zu erledigen. Alles hat super funktioniert, bis auf die Tatsache, dass wir plötzlich zwei Tiere zu viel in unserer Weide stehen hatten. Sie waren wohl vom Nachbar. Da wir heute sowieso viel zu wenig gelaufen sind (Achtung, Ironie!), beförderten wir die beiden mit viel Gedulds- und Laufarbeit wieder nach drüben.

Jetzt waren wir schon über 10 Stunden auf den Beinen und am umherrennen- wir gingen unsere 50 Minuten Wanderung an; zurück zu den ausgebüchsten Kälbern die wir noch einfangen mussten. Schweigend. Wirklich schweigend. Die Füße taten weh. Und es war ziemlich heiß geworden. Wir schafften es recht schnell die Kälber einzufangen.

Anschließend teilten wir uns wieder auf, ich holte die Kühe zum Melken, die anderen bereiteten schon einmal den Stall vor bis ich da bin mit den Kühen. Am Himmel bildeten sich immer mehr Wolken. Ein Gewitter zog auf. Die ersten Kühe trotteten schon gemütlich Richtung Stall als ich das Tor öffnete. Nur eine einzige und natürlich, wie sollte es anders sein, die langsamste von allen Kühen lag ganz oben im Eck. Es fing langsam an zu Regnen, ein ganz leichter Regen. Ich trottete nach oben. Mit einem „hop hop“ stand sie laaaaaaangsam auf. Der Regen wurde etwas mehr in der Zeit. Wir liefen nach unten, ich hinter hier, da sie sonst stehen blieb. Und das alles in Zeitlupe. Um das ganze noch mehr zu verdeutlichen: Alle anderen Kühe waren bereits im Stall. Wir liefen also gemütlich und genau in diesem Moment, schüttete es in Strömen, als würde dort oben jemand ganze Badwannen auf einmal ausschütten. Sodass sich seitlich von uns sogar Flüsse vom Regen bildeten. Das ging ungefähr 5 Minuten. Und als wir am Stall ankamen, nach genau 5 Minuten war der Regen komplett verschwunden und die Sonner kam heraus.

Ich war pitsche patsche nass. Durchnässte Kleidung. Aber da es den restlichen Tag heiß war, hatte ich ja nicht viel an.

Nachdem ich mich in meine Stallsachen geschmissen hatte beginnen wir zu Melken, glücklicherweise ohne weitere Komplikationen.

Letztendlich lag das gesamte Alpteam an diesem Abend zum Teil ohne Abendessen um halb 9 im Bett und schlief. Fix und fertig, aber auch irgendwie zufrieden.