31 Jan Kämpfen – wenn die Kuhherde nicht will wie du es willst.
Ein jeder Älpler kennt es. Der Moment wenn gar nichts so funktionieren mag wie du es gerade möchtest. Es aber nichts anderes bleibt als weiter zu machen auch wenn nur noch wenig Kraft da ist. Solange bis es funktioniert. Solange, bis du lange genug an dich selbst geglaubt hast.
Meine Beine brennen. Es ist noch ziemlich Anfangs Sommer und ich hole gerade mit meinem Hund die Kühe von der Tagweide. Sie sind ganz unten und überall verteilt. Ich war bisher noch nie auf dieser Alp, geschweige denn dass ich sie jemals von dieser Weide geholt hätte – es ist auch generell mein erster Alpsommer.
Es ist auch generell mein erster Alpsommer.
Gut 100 Kühe laufen vor mir. Ich hinterher mit meinem Hirtenstock fest umklammert, mit festen stabilen Bergschuhen an den Füßen, genauso stabil scheint auch meine innere Ruhe zu sein. Noch.
Die Lunge brennt, denn meine Fitness lässt wirklich zu wünschen übrig. Vom steilen Bergauflaufen muss ich schwer atmen und würde am liebsten eine kurze Pause machen aber das geht nicht.
Ich möchte sie in Richtung links Oben die Kurve entlangtreiben. Eigentlich müssten sie doch schön dort den Weg entlang ziehen, wenn ich dann ein wenig von rechts mit dem Hund komme und sie nach oben treibe. Oder?
Wir kommen an den Punkt, wo ich genau das tue. Ich laufe, nein eigentlich muss ich rennen damit ich rechtzeitig da bin – ein wenig rechts an der Herde vorbei und versuche sie mit meinem Hund somit in die andere Richtung zu lenken. Aber nur ganz leicht, nicht zu viel, nicht zu wenig, sie sollen ja nicht umdrehen.
Fehlschlag. Die Leitkuh und ihre 99 Folgenden haben eine andere Idee.
Fehlschlag. Die Leitkuh und ihre 99 Folgenden haben eine andere Idee. Sie laufen trotz bellendem Hund gerade aus weiter, direkt in den Steilhang hinein. Verdammt. Das könnte gefährlich werden. Eine ziehende Herde hält man nicht so leicht auf. Denn wenn sie einmal zieht, dann zieht sie. Wer es erlebt hat, weiß wovon ich rede.
Ich sprinte also ganz nach vorne, um sie irgendwie aufzuhalten und ihnen den Weg zu versperren damit nicht alle 100 ins Ungewisse ziehen. Sollte ich mir jetzt, vor lauter hektischem Gerenne über Fels und Stein die Füße brechen oder meine Lunge vor Anstrengung aufgeben, oder gar beides zusammen, würde mich das nicht wundern.
Weitermachen, Weiterlaufen, nicht Aufhören tönt es gedanklich immer wieder in meinem Kopf.
Weitermachen, Weiterlaufen, nicht Aufhören tönt es gedanklich immer wieder in meinem Kopf. Wild wedle ich mit meinem Hirtestock umher um ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Gerade so schaffe ich es, dass sie kehren. Nur leider kehren sie so sehr, dass die gesamte Herde fröhlich den Berg wieder hinunterspringt und ganz, ganz unten im Eck zum stehen kommt.
Die Hände in die Seiten gestemmt, schwer atmend von dem vorherigen Sprint stehe ich Kopfschüttelnd da. „Euer Ernst?“ Murmele ich verärgert und ungläubig zugleich vor mich hin. „Anscheinend schon.“ Das Spielchen geht wieder von vorne los. Ich muss also nochmals hinunter und sie ein zweites Mal versuchen hier hoch zu treiben. So stapfe ich los. Zwar nur noch mit der Hälfte der Motivation von vorhin, aber was bleibt mir schon anderes übrig? Mein Kinn strecke ich dennoch trotzig in die Höhe. Die Kühe sollen schließlich merken, dass das nicht so geht.
Unten angekommen beginne ich mit dem zweiten Versuch. Meine Kraft schwindet immer mehr. Denn ich bin die Hänge, die Berge und die dünne Höhenluft noch nicht gewöhnt. Es ist wirklich anstrengend.
Ich treibe sie wieder wie vorhin, nur versuche ich dieses Mal etwas früher an der richtigen Stelle zu sein. Es scheint gerade zu funktionieren, als zwei Kühen wieder einfällt gerade aus weiterzulaufen, anstatt nach links oben zu trotten. Und das schlimmste, diejenigen die eigentlich gerade richtig gelaufen sind, kehren und folgen den Falschläuferinnen. Ich sprinte wieder nach vorne, um sie zu kehren bevor sie gesammelt in den Steilhang laufen und ich sie nicht mehr aufhalten kann. Und wie soll es auch anders sein. Dasselbe Spielchen noch einmal. Die ganze Herde springt wieder fröhlich den Berg hinunter als würde sie mich Auslachen und kommt erst am Ende der Weide zum Stehen. Ich schaue von oben zu. Mein Hirtenstock falls zu boden aus meiner Hand, ich gehe in die Hocke und lasse meinen Kopf in meine Hände sinken.
Meine Augen füllen sich aus Verzweiflung mit Tränen.
Meine Augen füllen sich aus Verzweiflung mit Tränen. Darf das wahr sein? Zudem wird es immer später und wir sollten eigentlich genau jetzt zu Melken anfangen.
Ok, eine Lösung muss her. Ich versuche meinen Tatendrang und Optimismus wieder zu finden. Schnell beschließe ich zurück zur Hütte zu laufen, was weniger schnell geht, da es ziemlich bergauf geht, um Zaunmaterial zu holen. Ich stecke einen Ziehzaun als kleine Abtrennung, damit die Kühe erst gar nicht dort hineinlaufen können. 25 Minuten später steht der Zaun. Ich habe fast ein bisschen zu wenig Litze mitgenommen, aber das muss jetzt reichen. Eins – zwei – Risiko beschließe ich.
Wieder laufe ich den Berg hinab, sammle die verteilten Kühe zusammen, treibe sie dann wieder hinauf. In Richtung Ziehzaun. Der Spannende Punkt kommt, an dem die Kühe Links anstatt geradeaus laufen müssten. Ich bibbere fast, denn nochmals, schaffe ich es nicht runter und wieder hoch zu laufen. Erst als die letzte Kuh den richtigen Weg einschlägt atme ich laut aus und lasse meine ganze Anspannung schwinden. Ich hatte es geschafft. Kurzerhand beschließe ich den Ziehzaun den ganzen Sommer stehen zu lassen.
Aufgeben wäre nicht gegangen. So habe ich einfach weiter gemacht und war am Ende richtig Stolz auf mich (und fix und fertig).
Bild: Barbara Meixner