04 Dez Schnee auf der Alp – plötzlich Stille – Traum und Alptraum zugleich
Es ist August. Über Tage hinweg Regen. Gewitter. Regen. Regen. Regen. Und dann plötzlich ist es ganz still. Eine ganz komische ungewöhnliche Stille. Er ist da. Der Schnee. Über die Nacht hat er sich seinen Weg zu uns auf die Alp gesucht.
Es ist Abends und wir liegen in unseren Betten. Der Regen prasselt wild auf das Dach der Alphütte. Schon seit Tagen. Nahezu pausenlos. Ich bin völlig zufrieden und geschafft. Ein wenig ausgelaugt da ich heute viel laufen musste.
Die letzten Tage waren hart.
Mittlerweile sind alle meine Bergschuhe durchnässt und ich bekomme sie nicht einmal mehr trocken. Mir geht kurz durch den Kopf wie ekelig kalt es heute war, als ich ganz oben auf dem Berg bei Regen und starkem Wind eine Kuh suchen und wieder einfangen musste. Wie sehr ich mich zu diesem Zeitpunkt in eine warme Stube gewünscht hätte. Jetzt aber war ich froh in meinem Bett zu liegen und nicht im strömenden Regen herumlaufen zu müssen. Ich kuschele mich in meine Decke und mein Kissen. Lausche dem Regen.
Das Geräusch vom Regen fühlt sich ein wenig nach Heimat an und ich fühle mich geborgen.
In weiter Entfernung höre ich noch die Kuhglocken der Kühe die zufrieden auf ihrer Nachtweide grasen durch den Regen durch. Es braucht nicht lange, genau genommen eine einzige Minute, bis ich im Land der Träume mit glücklichen Kühen und herrlichen Bergen angekommen bin.
Schnell einzuschlafen scheint wohl ein gutes „Laster“ eines jeden Älplers zu sein.
….
Stille. Unheimliche Stille. Und es ist August. Kein Glockengeläute. Kein Bimmeln. Kein Regen. Nichts. Stille.
Aber irgendwie doch nicht Nichts. Denn ich weiß genau dass etwas ist. Dass etwas nicht stimmt. Also kann nicht Nichts sein. Ich stehe auf. Habe die ganze Nacht durchgeschlafen und bin gerade von meinem Wecker aufgewacht.
Ich öffne mein Fenster und direkt kommt mir ein Duft entgegen. Der Durft von Schnee. Ja man kann ihn wirklich riechen. Und schon sehe ich es. Weiß. Die ganze Alp wurde über Nacht bepudert. Reines Weiß. Friedlich. Herrschend. Bestimmend. Eigentlich ein sehr schöner Anblick. Im ersten Moment – Ja.
Doch für einen Älpler wohl eines der unangenehmeren Dinge die es gibt.
Ich gehe mit meiner Stirnlampe hinaus auf die Nachtweide zu den Milchkühen. Eigentlich benötige ich die Lampe gar nicht da allein der Schnee alles erhellt. Da stehen sie. Aneinandergereiht und ein wenig verteilt.
Mit gekrümmten zusammengezogenden Rücken, leicht hängenden Ohren und dem Kopf in Richtung Boden stehen sie da. Wie begossene Pudel sehen sie aus. Ich muss ein wenig schmunzeln weil es wirklich witzig aussieht, weiß aber auch dass es eigentlich nichts zu lachen gibt.
Schnee auf der Alp ist immer gefährlich.
Dadurch dass der untere Schnee wieder zu schmelzen beginnt kann es extrem rutschig werden. Stehen dann die Tiere an der falschen Stelle oder in der falschen Weide mit steilen Hängen kann das unter Umständen tödlich enden. Wir haben Glück denn unsere Kühe stehen in einer harmlosen Weide. Da es auch mir langsam kalt wird beginne ich gefühlt ebenfalls wie ein begossener Pudel dazustehen. Zwar nicht mit hängenden Ohren aber mit gekrümmtem Rücken.
Meine Hand umklammert den Hirtenstock.
Ich frage mich warum ich keine Handschuhe angezogen habe.
Ich öffne den Torgriff der Weide und stapfe durch den vielen Schnee um alle Kühe in Richtung Stall zu treiben. Sie wollen nicht so recht laufen, als würden sie lieber stehen bleiben wie Statuen. Doch sobald die ersten losgelaufen sind folgen ihnen auch die anderen.
Wir stallen alle Kühe ein. Müssen den Tag über abwarten und sie im Stall lassen.
Drei Mal am Tag füttern wir Heu.
Es ist ein ziemlicher Aufwand und eine riesige Sauerei.
…
Es ist Mittag und der Schnee liegt immer noch. Zwischendurch hat es sogar nochmals geschneit. Ich mache mir Sorgen um das Jungvieh das ganz oben steht. Ohne Schnee ist es eine gute Stunde Fußmarsch bis dort hin, mit Schnee sind es mit Sicherheit fast zwei. Doch wenn wir zu ihnen gehen könnte es gefährlich werden. Jetzt stehen sie in Gruppen zusammengerückt da, laufen nicht umher. Bleiben ruhig. Zumindest heute. Laufe ich jedoch zu ihnen könnte es sein dass sie plötzlich anfangen mir hinterher zu laufen.
Dann werden sie unruhig.
In dieser Weide mit steilen Hängen wäre das zu gefährlich. Ich spreche mich kurz mit dem Alpmeister ab und wir sind beide der Meinung dass es zu gefährlich wäre sie von dort herunter zu holen. Da es gegen Abend nicht mehr schneien soll und der Schnee bis zum nächsten Tag wieder weg sein sollte ist das kein Problem für die Tiere.
Dennoch steht noch ein langer Fußmarsch vor mir. Einige Zäune bei den Tieren sind von dem schweren Schnee auf den Boden gedrückt worden. Ich muss also durch den Schnee stapfen, ganz nach oben.
Damit die Tiere mich nicht sehen laufe ich unauffällig außen herum und befreie unbemerkt die nötigen Zäune vom Schnee damit keines der Tiere ausbücksen könnte falls es ihnen in den Sinn kommt. Es ist kalt und ich spüre so langsam meine Hände nicht mehr. Aber ich muss weiter laufen und das erledigen.
Ich Gedanken sage ich mir „umso schneller du es hinter dich bringst, umso eher kannst du wieder in die warme Hütte sitzen“.
Also laufe ich und laufe ich. Meine Hände sind kalt der Rest des Körpers schwitzt weil es so anstengend ist den Berg im tiefen Schnee hinauf zu laufen. Ich rutsche immer wieder mit meinen Bergschuhen nach hinten weg. Das kostet Kraft. Vorallem in den Oberschenkeln. Sie brennen.
Am Ende jedoch ist alles geschafft. Auch ich bin geschafft. Schnell laufe ich los zurück zur Hütte. Leider zu schnell. Durch den Schnee rutsche ich mit dem einen Fuß aus, mit dem anderen knalle ich direkt mit meiner Kniescheibe auf eine schneebedeckte Steinplatte. Es schmerzt und tut so weh dass mir Tränen in die Augen schießen. Ich muss mich daraufhin kurz setzten da mir ein wenig schwindelig wird.
Kurz ruhe ich mich aus, doch es ist einfach zu kalt.
Anfangs humpele ich noch vor mich hin, dann geht es immer besser und ich kann bis ich unten bin wieder einigermaßen gerade laufen.
Nach dieser Aktion gibt es Schnee für mein Knie zum kühlen da es geschwollen ist und eine heiße Suppe um den Rest von mir aufzuwärmen.
In diesem Moment kann es wohl kaum etwas Wertvolleres geben.
….
Der nächste Morgen. Wir können die Kühe wieder aus den Ställen lassen, der Schnee ist wieder weg geschmolzen. Auch das Jungvieh kann jetzt wieder gemütlich fressen. Ich gehe sie heute noch besuchen um zu sehen ob alles in Ordnung mit ihnen ist.
Zum Glück ist nichts passiert. Nur viele viele Nerven, Sorgen und Arbeit hat es gekostet. Aber kein einziges Leben der Tiere.
Und wieder merke ich wie klein wir doch sind. Wie groß doch die Mutter Erde Natur. Wie mächtig. Aber auch bereichernd.
Das sind Erlebnisse die man sich wohl in zwanzig Jahren noch erzählt.