Andere Zeiten. Damals, ganz früher, auf der Alp.

Andere Zeiten. Damals, ganz früher, auf der Alp.

Es waren andere Zeiten, die heute unvorstellbar sind.

„Es war damals. Es muss 1952 oder 53 gewesen sein. Da war ich ein Bub von ungefähr 9 Jahren. Ganz genau weiß ich das nicht mehr. Unsere Familien waren arm, besonders die Bergbauern hatten es schwer heute unvorstellbar…“

(ausgesuchtes Bild entspricht nicht dem Original: von Pixabay)


 

Damals. Ganz früher. Auf der Alp.

Ich habe 7 Geschwister. Ich bin der drittälteste mit meinen 9 Jahren. Das Essen für unsere Familie ist knapp. Wir sind sehr arm, so wie vieler der Familien in unserer Umgebung. Wir sind Bergbauern. Ich soll den Sommer über mit auf die Alp. Die Mama sagt: „das ist gut, da kannst du arbeiten, bekommst du was zum Essen dafür, und wir hier Herunten haben´s leichter, weil du versorgt bist.“
Mein kleinerer Bruder muss auch auf die Alp. Er ist sieben. Aber auf eine andere. Ich war im letzten Sommer schon. Bei ihm wird es der erste Alpsommer sein. Es ist sehr anstrengend aber schön, zumindest draußen beim Vieh. Nur manchmal schreit der Senn laut herum, wenn etwas nicht funktioniert. Das mag ich nicht.

Wir haben 10 Kühe auf der Alp. Ein paar Kälber, Jungvieh und 4 Schweine.
Ich bin Hirtenbub. Und muss tagsüber nach dem Vieh schauen. Zusammen mit dem Knecht und einem anderen Hirtenbub ziehen wir mit dem Kübel los, um die Kühe zu melken. Es gibt keine Zäune, nur um die Schweine ist eine Steinmauer gebaut. Auch keinen Stall, um die Kühe dort hineinzutreiben. Wir sind auf einer Hochalpe.

 

Melken müssen wir von Hand.

Wenn sich eine Kuh nicht melken lassen will muss ich ihr so lange hinterherspringen bis sie wieder stehenbleibt und ich sie wieder melken kann. Nur die ältesten bleiben ruhig stehen. Die anderen weniger.
Früh morgens, wenn der Tau noch liegt frieren mir die Füße ein wenig. Ich habe keine richtigen Schuhe, nur welche die viel zu groß sind, mit einer dünnen Ledersohle, aber die drücken mich und sind auch nur für den Notfall gedacht im Fall, dass es einmal für längere Zeit schneit hier oben.

Die restliche Zeit laufen wir barfuß hier oben herum. Nur der Senn hat immer Schuhe an. Er ist auch der Chef und hat das Sagen und außerdem ist er erwachsen.

Wenn es so kalt ist finde ich dann mit viel Glück einen frischen Kuhfladen, der noch schön warm ist und in den ich hineinstehen kann.

Wenn es so kalt ist finde ich dann mit viel Glück einen frischen Kuhfladen, der noch schön warm ist und in den ich hineinstehen kann. Und wenn nicht, scheuche ich eben eine Kuh, die noch schläft, auf, in der Hoffnung, dass sie dann einen Fladen liegen lässt. Meistens funktioniert das sogar. Doch lange habe ich nicht Zeit, denn der Senn braucht seine Milch. Die Kühe müssen gemolken werden.

Unter Tags sind der andere Hirtenbub und ich beim Vieh, treiben sie ein wenig zusammen und zurück in Richtung Hütte damit sie nicht komplett verteilt sind und davonlaufen. Wir bauen Steinhaufen und formen daraus Figuren während wir dort draußen, hoch oben sind. Wenn die Kühe sich um die Mittagszeit mit voll gefressenem Magen niederlegen, legen wir uns oft zu ihnen und schlafen auch.

Ganz am Anfang waren wir drei Hirtenbuben. Aber der eine Hirtenbub hatte ganz schlimmes Bauchweh. Nach zwei Wochen hat ihn der Senn nachhause geschickt. Er ist dann heruntergelaufen. Als wir einem Bauer lauschten der sich mit dem Senn unterhielt, hieß es dass man ihn auf halber Strecke zufällig aufgegabelt hatte und er zum Doktor musste. Blinddarm.  Er wäre wohl fast gestorben, vorallem wenn man ihn nicht am Wegesrand entdeckt hätte.

Eine Kuh ist also überlebenswichtig für mehrere Familien.

Einmal sind wir während dem Spielen eingeschlafen und alle Kühe und Rinder sind während dessen ganz hoch ins Steile gelaufen wo es sehr gefährlich war. Aber dort mögen sie das Futter am liebsten.  Wir mussten sie aus dem Steilen wieder heraustreiben, wir beide sind flink und berggängig wie Gämsen. Aber es ist dennoch gefährlich. Würde eine Kuh in den Tod stürzen würde der Senn vermutlich für mehrere Tage herumschreien. Es sind die Tiere die Familien durch den harten Winter bringen. Eine Kuh ist also überlebenswichtig für mehrere Familien.

Hungern über den Winter wäre nicht schön.

Ein ganzes Stück Käse wäre zu wertvoll, wir bekommen davon nichts.

Zum Abendessen gibt es trockenes Brot, ein halbes glas Milch und die Käserinde, die während dem Käsen weggeschnitten wird und übrig bleibt. Ein ganzes Stück Käse wäre zu wertvoll, wir bekommen davon nichts. Einmal wollten wir ein kleines Stück heimlich stehlen, doch der Senn hat uns erwischt und ist uns dann mit dem Hirtenstock hinterher. Wir waren zum Glück schneller, sind ab und davon.

Untertags suchen wir oft nach Heidelbeerfeldern, zur richtigen Jahreszeit können wir uns dort satt essen, aber nicht zu viel, sonst bekommen wir Bauchweh davon. Dann kommen wir mit blaugefärbten Mündern und Zungen fröhlich lachend zur Hütte zurück und bringen auch dem Senn und dem Knecht eine Handvoll mit, die wir in unseren Hosentaschen transportieren.  Meistens sind faste alle Beeren verdrückt bis wir zurück sind.

Wir kennen jedes einzelne der Tiere nach diesem harten Sommer.

Gut 80 Tage später treiben wir das Vieh und die Schweine ins Tal zurück. Um den schweren Käse ins Tal zu bekommen haben wir einen Esel der voll bepackt wird. Der Senn läuft mit ihm zusammen. Manchmal ist er stur und bleibt einfach stehen. Dann müssen wir ihn von hinten wieder antreiben damit er weiterläuft und dann ganz schnell wieder losrennen und die Kühe Kälber und Schweine zusammenzuhalten. Wir kennen jedes einzelne der Tiere nach diesem harten Sommer.

Aus seiner Westentasche zieht er nochmals etwas heraus, dass in ein kleines Tuch eingewickelt ist.

Nach 8 Stunden Fußmarsch sind wir kurz vor dem Dorf und legen noch eine kleine Pause ein. Auf einer kleinen Wiese an dessen Rand sich ein kleiner Brunnen befindet. Der Senn bindet den Esel mit dem Strick an einem Pfosten fest. Neben dem Brunnen liegt ein kleines Päckchen in ein Tuch eingewickelt. Er nimmt es. Wickelt es aus. Und zieht 4 Halbe Brote heraus. Ich rieche das Rauchfleisch bis hier obwohl ich weit weg stehe. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Aus seiner Westentasche zieht er nochmals etwas heraus, dass in ein kleines Tuch eingewickelt ist. Er legt alles auf den Tüchern zurecht.

Dann ruft er, ohne uns beide anzuschauen in mürrischem aber freundlicherem Ton zu uns hinüber.

„Buben, los, kommt her, sonst esse ich alles allein“. Wir rennen sofort los.

Für jeden von uns gibt es ein halbes Wurstbrot und als große Überraschung ein kleines Stück Käse vom Sommer mit dazu. Genussvoll beißen der Senn, der Knecht und wir zwei Hirtenbuben in unser wahres Festmahl. Kurz sehe ich den Senn ein wenig Grinsen als er uns beim Essen zuschaut, aber sobald ich ihn dabei erwische schaut er mit ernstem Gesicht wieder weg.

 

„An was ich heute als alter Mann besonders denken muss ist: Die Zeiten waren Hart. Es waren andere Zeiten und es ging oft einfach nur darum irgendwie überleben zu können. Über den Winter zu kommen. Aber eines war anders. Ich freute mich damals wie auch heute noch über dieses halbe Wurstbrot und ein kleines Stück Käse so unglaublich, es war wahrlich ein Moment der etwas besonderes war und mir noch heute in Erinnerung geblieben ist.  In der heutigen Zeit ist das zu selbstverständlich und nichts besonderes mehr.“